Die Taufschale von Sankt Marien – ein Zeugnis der evangelischen Stadtgemeinde und für Bürgersinn in Pasewalk
Im April 2016, bei Umzugsarbeiten, wurde in Pasewalk Baustraße 5 (Alte Superintendentur) die Taufschale unserer Gemeinde von 1862 wiederentdeckt. Es ist die Taufschale, die zu dem originalen Taufstein Stülers gehört, der anlässlich der umfassenden Restaurierung 1862/63 mit Altar, Kanzel und Orgelempore zur neuen Ausstattung unserer St. Marienkirche gehört.
Der breite Rand der Schale wird durch 4 bildliche Darstellungen der äußeren Ansicht von St. Marien aus den jeweiligen 4 Himmelsrichtungen in vier Abschnitte eingeteilt. Die Schale ist aus massiven Silber gefertigt. Sie steht auf 4 verzierten Fußelementen, die am unteren, äußeren Schalenboden angearbeitet sind. Die Taufschale hat einen Außendurchmesser von 59,0 cm. Die Schale ist 7,0 cm tief.
Es bleibt jedoch noch die Frage, wer war der in der Widmung als auch auf der Rückseite erwähnte J. W. Keibel und welche Verbindung besteht zwischen dem Hofjuwelier des Zaren in St. Petersburg und der Kirche St. Marien zu Pasewalk.
Alles begann mit Martin Keibel, der sich 1754, gerade 24 Jahre alt, als sesshafter Bürger und Kaufmann in der Stadt Pasewalk niederließ und eine Familie gründete. Zu diesem Familienstammbaum gehört auch der Schöpfer dieses Kunstwerkes.
Johann Wilhelm Keibel (1788-!862) war Juwelier und Goldschmied in St. Petersburg. Er hat für Zar Nicolaus I. den „Kaiserlich-Königlichen Orden vom Weißen Adler entworfen und gefertigt. Dieser Orden war die dritthöchste Auszeichnung des Zarenreiches von seiner Einführung 1831 bis Februarrevolution 1917. Es war das Privileg W. Keibels während seiner Zeit den Orden im Auftrag des Zaren als einziger zu fertigen. Und noch eine Überraschung verbirgt der Name J. W. Keibel. Berühmt sind die für die Zarenfamilie angefertigten Faberge‘-Eier.
Hersteller war die Juwelierwerkstatt von Carl Faberge‘ in St. Petersburg. Der Vater dieses Carl Faberge‘, Gustav Faberge‘, auch ein bekannter Goldschmied, ist bei „unserem“ Johann Wilhelm Keibel in seiner Werkstatt in St. Petersburg in die Lehre gegangen.
Wir haben es also auch mit einem großen Künstler zu tun, der am Zarenhof in hoher Gunst stand.
Auf den nachfolgenden 2 Tafeln stellen wir die Geschichte der Familie Keibel und ihrer Verdienste um die Stadt Pasewalk, als auch um die evangelische Stadtgemeinde und den Zusammenhang der Taufschale mit St. Marien und dem Hofjuwelier des Zaren dar.
Die Geschichte dieser verdienstvollen Pasewalker Familie führt uns bis in unsere heutige Zeit. Im Monat Juni 2019 konnte das 200-jährige Jubiläum des ehemaligen Gutes Ludwigsburg gefeiert werden. Der Ort gehört heute zur Gemeinde Schenkenberg bei Prenzlau sowie zum evangelischen Pfarrsprengel Schönfeld. Dieses Gut wurde 1819 von den Nachfahren der Pasewalker Familie erworben und erfolgreich bis 1945 bewirtschaftet werden. Aus der Pasewalker Kaufmannsfamilie ist eine erfolgreiche uckermärkische Landwirtsfamilie geworden.
Die Gebäude der Gutsanlage sind erhalten geblieben und werden heute als evangelisches Seniorenzentrum Gutshaus und Speicher Ludwigsburg betrieben. Hier, im Gutshaus, kann auch die vollständige Dauerausstellung zur Familie Keibel besichtigt werden. Interessierte und Gäste sind jederzeit herzlich willkommen.
Nachfolgend finden Sie die Tafeln Nr. 1 (Familie Keibel in Pasewalk) und Nr. 16 (Familie Keibel in St. Petersburg) aus der Ludwigsburger Gesamtausstellung, die im PDF-Format vorliegen und die Sie sich gerne herunterladen können.